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Lichte Momente
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Sonne
Lichte Momente

Die Radionachrichten enden. Ich sitze am Schreibtisch, betäubt von der Flut negativer Meldungen, die nun mehrere Minuten lang auf mich herniedergeprasselt sind: Corona, Krieg, Flüchtlinge, Aufruhr, Rebellion, Korruption, unumkehrbarer Klimawandel und Klimakatastrophen, Teuerung, …

Günther Maurer
Seelsorger

Plötzlich entstehen in mir auch Bilder, die Betroffenheit, Erschrecken, ja sogar Erstarrung auslösen können. Aber das ist nichts Ungewöhnliches. Es ist zutiefst menschlich.Ich spüre, dass ich diese Nachrichten nicht nur informativ gehört habe, sondern dass sie meine Seele und damit mich als ganzen Menschen belasten. Es fühlt sich so an, als wäre es im Raum dunkler geworden, obwohl mich das Tageslicht durch das Fenster grüßt. Kennen Sie das auch? Eine triste Stimmung, sozusagen allgegenwärtiges Novemberwetter, unabhängig vom Wetter außerhalb der eigenen Wohnung.

Die Lichtverhältnisse ändern sich
Haben Sie schon erlebt, dass ein Telefonanruf die persönlichen Lichtverhältnisse im Leben von einer Minute zur anderen ändert? Wir erfahren von einem Unfall, einer schwerwiegenden Diagnose, von einer Kündigung, einem Todesfall – und schon ist um uns herum rabenschwarze Nacht, obwohl sich der Zeiger der Uhr kaum weiterbewegt hat. Es regnet. Nicht ein paar Stunden, nicht einen Tag, nein tagelang, gefühlt wochenlang. Die Wolken reißen nicht auf. Es wird kaum hell und der Boden ist vom Wasser gesättigt und völlig matschig. Wir schauen aus dem Fenster und suchen mit unseren Augen wie mit Radargeräten den Himmel ab, um eine leichte Aufhellung zu erspähen und darauf die berechtigte Hoffnung zu setzen, dass es wieder hell, freundlich und sonnig wird.

Tunnelblick und finstre Wolken?
Es gibt Menschen – und ich kenne viele aus persönlichen Seelsorgegesprächen –, in deren Leben ist es zumeist stark bewölkt, grau und neblig mit entsprechender Sichteinschränkung. Das hat gar nichts mit dem Wetter zu tun und manchmal nicht einmal etwas mit realen Problemen. Diese Menschen haben sich aufgrund langanhaltender Herausforderungen einen Tunnelblick angewöhnt, der sie nichts anderes mehr erkennen lässt als dunkle Wolken, sprich Probleme. Sie finden keinen lichten Moment in ihren Alltags- und Lebensumständen. Und, was am traurigsten und schwierigsten ist, sie haben sogar die Hoffnung auf Änderung aufgegeben. Dieser Lichtmangel macht Körper und Seele krank. Hilfe von außen ist schwierig, denn die persönliche Sichtweise hat sich nicht selten schon so verfestigt, dass sich der Blickwinkel kaum weiten lässt. Diese konzentrierte Betrachtungsweise vorhandener Probleme belastet natürlich auch das nahe Umfeld des jeweilig Betroffenen. In solchen Lebenssituationen ist die Ermutigung wichtig, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen, um vielleicht so manches aufzuarbeiten und wieder Schönes und Aufhellendes zu sehen beziehungsweise zu lernen.

Es werde Licht!
Helle Momente – Lichtmomente – sind Vitamine und essenzielle LEBENSMITTEL für unsere körperliche und seelische Gesundheit. Dieses Faktum leugnet niemand, aber wie kann man den für jeden Menschen unheilvollen Teufelskreis durchbrechen? Um wieder «seh- und handlungsfähig» zu werden, müssen eigene Denkmuster reflektiert werden. Es ist nicht zu leugnen, dass einem das Leben manchmal schwere Brocken vor die Füße wirft. Scheinbar unüberwindbar. Und es ist auch eine Tatsache, dass manche Menschen von ihrem Temperament her leichter niedergestreckt werden als andere. Geborene Frohnaturen erspähen selbst im finstersten Loch noch einen kleinen Lichtstrahl. Erinnern Sie sich noch an Ihren letzten elektrischen Kurzschluss in Ihrem Zuhause? Da geht es uns allen gleich. Wir werden unerwartet und unvorbereitet davon überrascht. Eben funktioniert noch alles, im nächsten Augenblick ist es finster – zappenduster. Totalausfall! Nach den ersten Schrecksekunden beginnt hektisches oder strategisches Überlegen: Wo sind Kerzen und Streichhölzer, wo der Sicherungskasten? Finde ich die Taschenlampe oder kann das Handy aushelfen? Erleichtertes Aufatmen und ein freudiger Stoßseufzer, wenn das Licht zurückkehrt.Licht ist nicht einfach Licht – sondern hat belebende unwiderlegbare Auswirkungen auf unser Menschsein. Und so hat auch unsere persönliche Betrachtungsweise von Lebensumständen deutliche Effekte, vor allem auf unsere Psyche.

Auf dem Berg
Schon mehrmals war ich mit Reisegruppen am Berg Sinai. Wer den Sonnenaufgang am Berg erleben möchte, muss früh «aus den Federn». Es ist finster, kalt und unwirtlich. Niemand redet viel – auch dann noch nicht, wenn man 2,5 Stunden später am Gipfel sitzt und darauf wartet, dass die ersten Sonnenstrahlen über die Hügelketten klettern. Aber dann, mit jeder Minute, in der der Sonnenball höher steigt, klettert auch die Stimmung der Berg-
wanderer in die Höhe. Plötzlich ist da Bewegung, Lachen, Wärme, Wohlgefühl. Die Strapazen des Aufstiegs verblassen und finden keine Erwähnung mehr. Bei späteren Erzählungen überstrahlt der Sonnenaufgang alle beschwerlichen Gefühle davor.

Vielerlei Sonnenlicht
Es gibt vielerlei Arten von Sonnenstrahlen, zu denen wir nicht selten selbst beitragen können. Jedes Mal, wenn ich eine bestimmte alte Dame mit über 90 Jahren im Seniorenheim besuche und die Tür öffne, sagt sie zu mir: «Die Sonne geht auf.» Sie freut sich sichtlich über meinen Besuch und ihr Tag wird durch meine Anwesenheit und den Gedankenaustausch sogar dann sonnig, wenn es draußen regnet. Gleichzeitig erlebe ich es auch umgekehrt: Ihre dankbare Wertschätzung des Besuchs begleitet auch mich nach dem Abschied und erhellt meinen weiteren Alltag. Wer einen Menschen nicht nur sieht, sondern als wertvolles Gegenüber «wahrnimmt», knipst in dessen Leben einen Lichtmoment an.
Es hat mit Selbstdisziplin zu tun, wenn ich mich täglich bewusst auf das konzentriere, was in meinem Leben – vielleicht trotz Einschränkungen und Sorgen – gut ist. Eine liebe Freundin, die seit mehreren Jahren mit einer schwerwiegenden Krebsdiagnose lebt, ist für mich ein Vorbild an Frohmut. Sie nutzt jede Gelegenheit zwischen den Chemotherapien, bei der sie sich dazu in der Lage fühlt, mit ihrem Mann einen Kurzurlaub zu machen. Sie plant und genießt jene «lichten» Momente, die ihr trotz Krankheit geschenkt sind. Dieser Froh-MUT kommt nicht von selbst, sondern wird von ihr von Gott erbeten und bewusst gesucht.

Lebensweisheiten
In Sprichwörtern wird Weisheit und Erfahrungswissen vergangener Zeiten in kurzen prägnanten Worten zusammengefasst. Und wir täten gut daran, uns diese vielleicht da und dort in unserer Wohnung gut sichtbar aufzuhängen. Das Sichtbarwerden erinnert, motiviert und wird zum «Licht-Schalter» für unsere Seele.

  • «Es ist besser, eine Kerze anzuzünden, als über die Dunkelheit zu klagen.» Unbekannt
  • «Ein Sonnenstrahl reicht hin, um viel Dunkelheit zu erhellen.» Franz von Assisi
  • «Das kleinste Licht erhellt die größte Finsternis». Chinesisches Sprichwort
  • «Ein fröhliches Herz tut dem Leibe wohl; aber ein betrübtes Gemüt lässt das Gebein verdorren.» König Salomo
  • «Dein Wort ist eine Leuchte für meinen Fuß und ein Licht auf meinem Weg.» Psalm 119

Niemand von uns wohnt gerne im finstren Keller
Warum lassen wir dann aber unsere Seele oft in diesen dunklen Gewölben von Sorgen, Unversöhnlichkeit, Hoffnungslosigkeit hausen und setzen nicht unsere ganze Kreativität ein, um uns selbst und anderen Lichtmomente zu schaffen beziehungsweise zu schenken? Die Möglichkeiten sind zahlreich, um «Kerzen» anzuzünden und nicht beim Klagen über die Dunkelheit stecken zu bleiben: Es bedarf nur der Bewusstmachung, dass ich mir selbst etwas Gutes tun will. Nehmen Sie sich dazu etwas Zeit, darüber nachzudenken, wie es Ihnen gelingen könnte, Ihr Leben heller zu machen und gut mit sich selbst umzugehen. Eine Art «Selbstfürsorge» zu lernen und zu leben, ist heute ein Gebot der Stunde. Stopfen Sie sich nicht mit jeder Nachrichtenmeldung oder den unzähligen Social Media-Angeboten voll. Seien Sie vielmehr mit Ihren Sinnen den erweiterten Angeboten auf der Spur, die das Leben mit Freude, Hoffnung und Zukunftsaussichten würzt.

Einige Beispiele sollen Sie dazu anregen:

  • Musik ins Leben zu bringen, macht erwiesenermaßen glücklich und gräbt so manches Mal verlorene Emotionen aus.
  • Blumen am Balkon, im Garten, im Zimmer, am Krankenbett erfreuen das Auge.
  • Ein bewusster Spaziergang über Wald und Feld, eine Wanderung über Hügel und Berge mit allen Sinnen ist ein Loslassen von Belastungen – schöpfen Sie tief Luft, sehen Sie sich richtig satt, hören Sie das vielstimmige Vogelorchester.
  • Gestalten Sie eine Art «Redeplatz», bei dem ein gegenseitiger ehrlicher, offener und wert­schätzender Austausch gepflegt und gefördert wird und einander bewusst und ohne Wertung zugehört wird: über Freuden und Ängste, über Verluste und Hoffnungen, über «Gott und die Welt».
  • Einen Brief schreiben, eine bunte Karte verschenken, ein gutes Essen genießen, das Telefon benutzen, um jemandem zu sagen, dass man an ihn denkt oder für ihn betet.
  • Für gläubige Menschen ist auch das persönliche Gebet ein erhellendes Erlebnis, das hilft.
  • Fragen Sie sich einmal ganz ehrlich: Was würde ich für mich selbst noch als Aufheller hinzufügen? Ist es ein Hobby? Die Beziehung zu Tieren? Die Entscheidung, eine langersehnte Reise durchzuführen?

Wie viel wiegt ein Schatten?
Neulich las ich in einem Buch folgende anregende Zeilen: «Wie viel wiegt ein Schatten? Welche Frage, werden Sie denken. Aber Schatten können sich schwer-wiegend über Ihrem und meinem Leben ausbreiten.» Das stimmt! Lassen wir es nicht zu, dass wir an Mangelversorgung leiden, weil es zu wenig «lichte Momente» in unserem Leben gibt. Es ist möglich, für sich selbst und andere wieder erhellende und leuchtende «Farbtupfer» in den Alltag zu bringen. Eine reale mentale Aufhellung stärkt uns im Alltag. Wie der Mensch denkt, so «tickt» er. Nehmen wir jene Lichtquellen in Anspruch, die positiven Einfluss auf unser seelisches, körperliches und geistiges Wohlgefühl haben. Wer sich dem Licht verschließt, bewusst oder aus Gewohnheit, tut sich nichts Gutes. Öffnen wir unsere Augen für das Licht, das uns in verschiedensten Formen täglich geschenkt wird. Einer der zutreffendsten und weisen Gedankengänge über «lichte Momente» hat sich von Anfang an bewahrheitet und seitdem nichts an Relevanz verloren: «Das Auge gibt dem Körper Licht. Wenn dein Auge gesund ist, wird dein ganzer Körper hell sein.» (Matthäus 6,22)

 

 

 

 

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